Mercator-Fellow am Graduiertenkolleg KRITIS: Richard G. Little

2017/06/09

Vom 22. Mai bis zum 4. Juni 2017 war der Infrastrukturforscher Richard G. Little am Graduiertenkolleg KRITIS zu Gast. Neben der individuellen Beratung bei den Qualifikationsarbeiten der Kollegiat_innen hat er mehrfach Einblicke in die eigene Forschungsarbeit gegeben.

Unter anderem war er als Discussant und Keynotespeaker in den internationalen Workshop „Towards urban resilience“ [Verlinkung mit Programm] eingebunden, der am 23. Und 24. Mai 2017 an der UIC Barcelona stattfand und der vom Graduiertenkolleg KRITS mitgetragen wurde. Der Workshop befasste sich mit der wachsenden Komplexität städtischer Systeme und den gleichzeitig auftretenden, ungewissen Auswirkungen von Urbanisierung und Klimawandel, die neue Denkweisen in der Planung erforderlich machen. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Thema „Resilienz“, verstanden als ein vorausschauendes Konzept, das über die reine Risikominimierung hinausgeht und das darauf ausgelegt ist, die Auswirkungen von Systemausfällen zu mildern und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit von Systemen zu erhöhen. In diesem Kontext referierte Richard Little über “The Flood Resilient City: Urban Alternatives to Building an Ark.”

Während seines Aufenthalts am Graduiertenkolleg KRITIS in Darmstadt berichtete Richard Little in einem Vortrag zur Software „MUNICIPAL“ über die Szenario-Modellierung bei Unwetterkatastrophen. MUNICIPAL (Multi-Network Interdependent Critical Infrastructure Program for the Analysis of Lifelines) ist ein Simulationstool für die Akteure im Bereich der kritischen zivilen und sozialen Infrastrukturen (siehe Kasten), die bei extremen Unwettern in Mitleidenschaft gezogen werden. Ziel von MUNICIPAL ist es, den Akteuren der unterschiedlichen Versorgungsinfrastruktursysteme fundierte Entscheidungshilfen bei der Katastrophenvorsorge wie auch bei den Wiederaufbaumaßnahmen nach extremen Ereignissen zu geben.

Zivile Infrastruktursysteme (Transport, Energie, Wasser Ver- und Entsorgung, Kommunikation, etc.) sind in aller Regel physische Systeme, die relativ wenig menschliches Eingreifen erfordern. Letzteres ist in aller Regel nur erforderlich, um die Systeme zu steuern und zu erhalten sowie gegebenenfalls defekte Bestandteile zu reparieren und auszutauschen.

Soziale Infrastruktursysteme sind grundlegend auf die Einbindung menschlicher Akteure angewiesen. Ohne Personal können die Dienste dieser Systeme nicht angeboten und ihre physischen Komponenten nicht genutzt werden. Beispiele für Systeme dieser Art sind Rettungsdienste, die öffentliche Sicherheit, Bildung, Gesundheitspflege, das Bankenwesen sowie die Versorgung mit Nahrung, Kraftstoffen und Medikamenten.

MUNICIPAL wurde durch das Rensselaer Polytechnic Institute entwickelt und berechnet die potentiell auftretenden Szenarien im Fall einer Unwetterkatastrophe: Welche Infrastrukturen sind in welcher Weise beeinflusst? Mit welchen Kaskadeneffekten ist zu rechnen? Welche Wiederaufbaumaßnahmen müssen mit welcher Priorisierung erfolgen? Die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Systemen der Versorgung finden bei den Simulationen eine besondere Berücksichtigung.

In der Realität sind extreme Wetterereignisse sehr selten und wiederholen sich üblicherweise nicht in ihren konkreten Auswirkungen. Die möglichen Lerneffekte in Bezug auf Systemausfälle sind daher deutlich begrenzt. Gleichzeitig ist die Wiederherstellung bzw. der Wiederaufbau vernetzter Infrastrukturen kompliziert und erfordert die Koordinierung unterschiedlichster Akteure, die normalerweise nicht zusammenarbeiten. Katastrophenübungen, die auf solche Vorkommnisse vorbereiten sollen, haben den Nachteil, dass sie die Vielfalt der möglichen Auswirkungen nicht annähernd widerspiegeln. Letztere sind oftmals erst bei ihrem Auftreten in ihren konkreten Ausmaßen erkennbar. Für eine sinnvolle Vorsorge und für die Identifizierung von Schwachstellen bei den zivilen und sozialen Infrastrukturen sind umfängliche Vorhersagen möglicher Katastrophenszenarien daher besonders wertvoll, gerade auch im Hinblick auf Kaskadeneffekte. Genau hier setzt MUNICIPAL an und berechnet realistische Simulationen, die sehr nah an tatsächliche Unwetterkatastrophen herankommen.

Ein weiterer Vorteil solcher Simulationen ist, dass die beteiligten Akteure ohne besonderen Aufwand von erforderlichen Präventionsmaßnahmen überzeugt werden können. Mehrtägige und in aller Regel kosten- wie auch zeitintensive Katastrophenübungen, die in ihren Vorhersagemöglichkeiten außerdem sehr begrenzt sind, müssen nicht stattfinden. Simulationen sind damit ein kostengünstiger Weg, um Schwachstellen und Vorsorgemöglichkeiten aufzuzeigen. Weitere Informationen zu MUNICIPAL finden Sie hier.

Neben seinem wissenschaftlichen Input nahm sich Richard Little während seines Aufenthalts am Graduiertenkolleg KRITIS viel Zeit, um den Doktorand_innen des Kollegs ausführliche Beratungsgespräche zu den individuellen Qualifikationsarbeiten geben zu können. Das Kolleg wird auch über den zweiwöchigen Aufenthalt von Richard Little hinaus mit ihm im Forschungsaustausch bleiben.

Richard G. Little berät zu Fragen der Infrastrukturpolitik und ist seit 2012 am Rensselaer Polytechnic Institute Gastwissenschaftler für Katastrophenschutz. Von 2004 bis 2012 war er Senior Fellow an der Price School of Public Policy an der University of Southern California (USC) und Direktor des USC Keston Institute for Public Finance and Infrastructure Policy. Vor seiner Tätigkeit an der USC war er 1995 bis 2004 Direktor des „Board on Infrastructure and the Constructed Environment of the National Research Council“ (NRC) und leitete dort ein Forschungsprogramm zu Infrastrukturen und gebauter Umwelt.